Haltung

Mensch, steh gerade!

„Mein Kind sitzt immer krumm am Tisch!“ oder „Mein Kind steht nie gerade!“. So oder so ähnlich höre ich es täglich in meiner Sprechstunde. Und wenn Sie Ihre Kinder darauf ansprechen und ihnen sagen, sie sollen gerade sitzen oder stehen, bekommen Sie manchmal eine trotzige Antwort. Das kann dann sehr schnell zu einer Diskussion führen, die mit dem eigentlichen Anlass – der Haltung Ihres Kindes – nichts mehr zu tun hat. Oder vielleicht doch?

Was ist eigentlich Haltung?

Haltung ist zunächst ein Synonym für Körperhaltung. So wie der Körper gehalten wird. Halten ist demnach aktiv. Durch Aufwendung von Muskelkraft und Wille wird der Körper in eine Haltung gebracht. Und diese kann individuell sehr unterschiedlichen sein. Angespannt, schlaff, aufrecht, gebeugt, zugewandt, abgewendet und vieles mehr. Doch welche Haltung wird nun eher positiv und welche eher negativ bewertet?

Das Idealbild der Haltung

Unterschiedliche Einflüsse führten zu dem Idealbild des aufrechten Körpers, wie wir es heute kennen. In der Medizin wurde vor allem im 18. Jahrhundert die Fehlhaltung als Ursache körperlicher Beschwerden gesehen. Dieses Bild hat sich unter regelmäßiger Anpassung und immer detaillierteren biomechanischen Untersuchungen bis heute gehalten. Unbewusst verbinden wir mit Körperhaltung auch den Status eines Menschen. Der Aufrechte ist dem Gebeugten überlegen. Körperhaltung ist jedoch vielmehr als nur der aufrechte Körper. Der Körper kann unzählig viele Haltungen einnehmen und in einer Diskussion somit viel ausdrücken. Bewusst eingesetzt, können somit Argumente verstärkt oder abgeschwächt werden.

Haltung als Ausdruck der Seele

Gleichzeitig ist die Haltung aber auch Ausdruck der Seele. In allen Lebenslagen drücken wir unser Gefühl in der Körperhaltung aus. Das gilt sowohl für Erwachsene aber insbesondere auch für Kinder.

Der Begriff Haltung wird auch im übertragenen Sinne verwendet. Es beschreibt die Denkweise einer Person und wie sie auf andere Personen oder Situationen reagiert. Das ist hochindividuell. Jeder ist anders und jeder reagiert anders. Die Ansichten sind verschieden und Situationen werden unterschiedlich beurteilt. Allerdings wird die Art und Weise, wie wir reagieren, wiederum von anderen beurteilt – und somit auch unsere Haltung bewertet. Dies findet sich in Aussagen wie „Haltung bewahren“, „Haltung ändern“ oder „eine sportliche Haltung haben“.

Haltung in diesem Sinne, ist das, was nach außen gezeigt und wahrgenommen wird. Das ist in hohem Maße abhängig von der inneren Haltung, unseren Einstellungen und Werten. 

Haltung als Ausdruck von Werten und Einstellungen

Und diese Werte und Einstellungen spiegeln sich in unserer Haltung wider: sowohl die wahrgenommene Haltung als auch unsere Körperhaltung. Vieles von dem läuft unbewusst ab, ist aber enorm wichtig: In die Bewertung der Körperhaltung der Kinder fließt nicht nur das Offensichtliche – die Körperhaltung – ein, sondern eben auch die vielen unbewussten Assoziationen. Die Angst der Eltern, ihre Kinder haben ein vermindertes Selbstwertgefühl, sind unglücklich oder können sich nicht behaupten, führt eben dazu, dass Eltern ihre Kinder ermahnen, aufrecht zu gehen oder gerade zu sitzen. Gerade in der Pubertät ist das in fast jeder Familie ein Thema. Und es ist ganz klar, dass die Körperhaltung der Jugendlichen bei den allermeisten Kindern nicht auf Problemen mit den Muskeln oder Gelenken beruht. Vielmehr sind die Jugendlichen auf ihrem Weg vom Kindsein zum Erwachsenen teils in einem emotionalen Chaos. Bewusste und unbewusste Fragen über die eigene Identität, Abnabelung von den Eltern und Sexualität sind nur einige Themen, die dazu führen, dass Unsicherheit oder auch Abgrenzung von anderen sich in der Körperhaltung ausdrücken.

Eine Fehlhaltung kommt glücklicherweise seltener vor als angenommen. Mal den Kopf hängen zu lassen oder sich entspannt zurückzulehnen, ist noch keine Fehlhaltung. Erst wenn der Körper dauerhaft so gehalten wird, dass mit einer Überlastung, Schmerzen oder gar Folgeschäden zu rechnen ist, kann von einer Fehlhaltung gesprochen werden. 

Begeisterung führt zu einer besseren Haltung!

Haben Sie schon mal auf die Haltung von Kindern geachtet, wenn sie miteinander spielen, toben oder Fußball spielen? Wie ist die Haltung ihres Kindes, wenn es völlig ausgepowert vom Sport kommt? Oder sie mit ihrem Kind durch die Stadt gehen? Immer, wenn Begeisterung ins Spiel kommt, führt dies automatisch zu einer aufrechten Haltung. Und das sollte genutzt werden. Um Kindern zu einer besseren Körperhaltung zu verhelfen, brauchen sie möglichst viele Situationen, in denen sie begeistert werden. Und am einfachsten ist es, wenn Kinder in Bewegung – zum Sport – gebracht werden. Gerade Sport in der Gruppe, also gemeinsam spielen, ist ideal, um Kinder zu begeistern.  Sport in der Gruppe vermittelt auch noch viele andere Werte wie Fairplay, Respekt und Toleranz und stärkt das Selbstbewusstsein.  Gerade hierdurch wird die Haltung zusätzlich gestärkt – sowohl die innere als auch die Körperhaltung.

Umso mehr muss den Kindern in der Freizeit die Möglichkeit angeboten werden, sich zu bewegen und den Körper spielerisch zu trainieren. Damit es eben nicht frühzeitig zu festgefahrenen Fehlhaltungen kommt, die dann schon im frühen Erwachsenenalter Probleme machen. Zielführender als „Mensch steh gerade!“ Ist dann in viele Fällen „Mensch, geh Spielen!“. Haltung kommt dann von ganz allein.